Radikalisierung in der Zivilgesellschaft
Harmloser Irrweg oder nicht zu unterschätzende Gefahr? Informations- und Diskussionsveranstaltung des KSÖ Tirol in der Messe InnsbruckZu dieser – vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg – mehr denn je aktuellen Thematik veranstaltete das „Kompetenzcenter Sicheres Österreich, Landesklub Tirol“ am 1. Juni 2022, um 19:00 Uhr in der Messe Innsbruck eine Diskussionsveranstaltung mit internen und externen Fachexperten.Im Vorfeld dazu führte das KSÖ-Tirol mit Journalistin und Moderatorin Verena LANGEGGER der Tiroler Tageszeitung mit einigen Fragen zur Radikalisierung (wie z.B. Hat der Grad der Radikalisierung in der Gesellschaft – insbesondere in der Corona-Krise – zugenommen? Hat die Bevölkerung Angst davor? Was kann man dagegen tun?) eine Straßenbefragung in Innsbruck durch, deren Ergebnis in einem Film-Vorspann zur Veranstaltung den ca. 400 interessierten geladenen Gästen aus dem Bereich der Politik, (Sicherheits-)Behörden, Polizei, Medien, Institutionen, Schulen und Vereinen präsentiert wurde.Der Präsident des KSÖ Tirol, Landespolizeidirektor HR Dr. Edelbert KOHLER, konnte für diese Veranstaltung, neben Wirtschaftslandesrat Anton MATTLE als Vertreter des Landes Tirol, folgende interne und externe Fachexperten als Vortragende bzw. Diskutanten begrüßen: OR Franz STEGER-KÜNZ, LVT Tirol; Assoz. Prof. Dr. Mag. Franz EDER, Dekan der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften der Universität Innsbruck, Spiros PAPADOPULOS, Verein „Neustart“ – Projektleitung KOMPASS, Mag. Werner REISINGER, Journalist – Korrespondent Augsburger Allgemeine in Wien, Mag. Ulrike SCHIESSER, Psychologin und Psychotherapeutin – Mitarbeiterin der Bundesstelle für Sektenfragen und Gerald B. „Ascendancer“, Ex-Verschwörungstheoretiker und Aussteiger.Nach den beiden Impulsreferaten von LVT Analytiker Franz STEGER-KÜNZ und der Psychologin Mag.a Ulrike SCHIESSER diskutierten die sechs Fachexperten unter der Moderation von Verena LANGEGGER und unter Einbeziehung der Fragen aus dem Publikum über politische Radikalisierung, religiösen Extremismus, gefährliche Polarisierung in der Gesellschaft, Staatsfeindlichkeit und Verschwörungsmythen sowie über Lösungsansätze, wie man schon frühzeitig Radikalisierung erkennen und entgegenwirken kann.In seiner Einleitung führte Dr. KOHLER an, dass Extremismus und Radikalisierung sensible Themen mit einer gewissen Brisanz sei und er erhoffe sich von der Diskussionsveranstaltung auch Impulse für die Arbeit der Polizei.Franz STEGER-KÜNZ meinte, dass nur sehr wenige der radikalisierten Menschen Gewalt als Mittel in Betracht ziehen oder in letzter Konsequenz zu Gewalttätern werden würden. „Am Beginn des Pfades seht die Radikalisierung, das Anzünden eines Flüchtlingsheimes erst ganz am Ende des Weges. Interveniert werden müsse bereits am Anfang von der Familie, Bekannten, Freunden; wenn der Staatsschutz eingeschaltet wird, ist es schon zu spät“, sagte der LVT-Experte.Ulrike SCHIESSER führte aus, dass zwischen 5 – 15% ein verhärtetes, verschwörerisches Weltbild haben. „Das Potenzial ist also groß, wenngleich das nicht bedeutet, dass jeder aus dieser Gruppe auch tatsächlich ins extremistische Milieu abdrifte, dieser Prozentsatz ist wesentlich geringer“, sagte die Psychologin.Franz EDER vertrat die Auffassung, dass die Corona-Krise viele in eine falsche Richtung getrieben habe: „Die Pandemie war das ideale Umfeld, um extremen Akteuren das Fischen von Menschen zu erleichtern. Und nur, dass die Pandemie jetzt vorbei zu sein scheint, hört die Radikalisierung nicht abrupt auf. Es könnte sein, dass wir die Auswirkungen erst Monate oder Jahre sehen, sagte der Politologe.Die gleiche Meinung vertrat Werner REISINGER: „Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass jetzt keine Demos mehr stattfinden und das Problem damit erledigt ist. Es gelte weiterhin kritisch darauf zu schauen und die Szene zu beobachten“, sagte der Journalist der Augsburger Allgemeinen.Spiros PAPADOPULOS erklärte, dass sich nicht alle Extremisten von ihren Ideologien wieder wegbringen lassen würden. „Wichtig in unserer Arbeit ist Akzeptanz und Wertschätzung. Wir müssen auch Interesse am Prozess der Radikalisierung zeigen“, sagte der Leiter des Projektes Kompass über die Arbeit mit radikalisierten Menschen.Gerald B. erklärte, warum Menschen in solche verschwörerischen Kreise abdriften. „Vor meinem Einstieg in die Szene habe ich mich klein gefühlt. Und ich glaube, dass sich in Österreich viel zu viele klein fühlen. Die Überzeugung, Teil einer wissenden, aufgeklärten Gruppe zu sein, die als einzige die einzig wahre Wahrheit kennt, hat ihm gutgetan“, sagte der Ex-Verschwörungstheoretiker, der 10 Jahre dieser Szene angehörte und 5 Jahre gebraucht habe, um aus diesem Kreis herauszukommen.Einhellige Meinung war unter den Diskutanten, dass man die Radikalisierung in der Gesellschaft weiterhin sehr ernst nehmen und mit radikalisierten Menschen bzw. Verschwörungstheoretikern in Kontakt bleiben soll und diese mit kritischen Fragen aus ihrem unmittelbaren Umfeld dazu animiert, dass sie selbst die Glaubwürdigkeit ihre Theorien hinterfragen.Zum Abschluss dankte Dr. KOHLER dem LVT und dem Organisationsteam des Büro L1-Öffentlichkeitsarbeit für die professionelle Vorbereitung und Abwicklung dieser Veranstaltung sowie den Experten mit einem kleinen Präsent für ihren Diskussionsbeitrag und die wertvollen Impulse, um künftig der Radikalisierung bewusster, sensibler und präventiver begegnen zu können.